Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel

23.02.2019 bis 05.05.2019

Gediegener Spott: Bilder aus Krähwinkel

Sammlungsausstellung

Ausstellung

Die Auserwählte eines Krähwinkler Zierbengels führt ihren Geliebten an der Nase herum, o. J.
Kennen Sie Krähwinkel? Im 19. Jahrhundert kannte fast jeder in Deutschland diesen imaginären Ort, der für Dummheit und Spießertum steht. Krähwinkler sind engstirnig und unoriginell, aber modebewusst und dünkelhaft. Erfunden wurde die virtuelle Kleinstadt, um der herrschenden Zensur im Vormärz zu entgehen.

Mit den sogenannten »Krähwinkliaden« entstanden eigenartige Spottblätter mit Szenen zum spießbürgerlichen Leben. Bilder, in denen Redensarten wörtlich genommen werden. Zu sehen ist dann etwa, wie eine Schöne ihren Verehrer buchstäblich an dessen (seltsam langer) Nase herumführt. Die Ausstellung im Museum Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst präsentiert 85 Krähwinkliaden  mit Szenen aus Krähwinkel und zeigt den Einfluss des Lustspiels »Die deutschen Kleinstädter« von August von Kotzebue auf deren Entstehen. Ergänzt wird die Schau durch Karikaturen zu Vormärz und Restauration. 

Das fiktive Krähwinkel hat es 1873 sogar bis ins Wörterbuch der Brüder Grimm geschafft: als »Musterbild beschränkter Kleinstädterei«. Was als ausformulierter Text der staatlichen Zensur zum Opfer gefallen wäre, ließ sich in den lustigen Bildern aus Krähwinkel in der allzu gemütlichen Biedermeierzeit als vieldeutige Anspielung zeigen. In der Zeit der Karlsbader Beschlüsse mit einer rigiden Presse- und Wissenschaftszensur bot nur der Ausweg in die Irrealität eine Möglichkeit zur Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Dafür taugten Krähwinkels Bürger hervorragend.

Die meisten europäischen Staaten waren im frühen 19. Jahrhundert Einheitsstaaten mit einer Hauptstadt, in denen ein Monarch herrschte und das Land einte. Anders in Deutschland, in dem 35 souveräne Groß- und Kleinstaaten und vier freie Städte einen Flickenteppich bildeten. Diese Verhältnisse waren ein ideales Biotop für die 

Eigenarten der Krähwinkler: An jeder Landesgrenze wurden beim Warentransport Zoll und Gebühren erhoben. Viele Länder hatten eigene Währungen, Maße und
Gewichte. Nachts wurde das Stadttor geschlossen, man blieb am besten unter sich. Berufe waren stark durch das Zunftwesen geregelt. Man fügte sich in das Schicksal, in das man hineingeboren wurde.

Der Begriff »Krähwinkel« ist vor allem mit dem später von einem Burschenschafter ermordeten Dichter August von Kotzebue (1761–1819) verbunden,  der Krähwinkel  als Handlungsort für seine Komödie »Die deutschen Kleinstädter« wählte.
Das Lustspiel in vier Akten wurde 1802 am Burgtheater in Wien uraufgeführt. Es ist ein Sittengemälde der Bürger von Krähwinkel, die partout die Verbindung des Bürgermeistertöchterleins Sabine mit dem aus der Residenz stammenden Herrn
Olmers verhindern wollen, weil dieser weder Tischmanieren noch einen Titel vorzuweisen hat. Die Werke von August von Kotzebue, der insgesamt über 200 Theaterstücke geschrieben hat, gehörten zu seiner Zeit zu den meistgespielten Stücken auf deutschen Bühnen; mehr als 90 wurden allein von Johann Wolfgang von Goethe inszeniert.

»Krähwinkel« wurde zum Synonym von Rückständigkeit und Beschränktheit der Kleinbürger und Beamten in der Biedermeierzeit. In einem Brief vom 16. März 1822 nannte Heinrich Heine Berlin »… ein großes Krähwinkel«, 1854 erschien ein achtstrophiges Gedicht mit dem Titel »Erinnerung aus Krähwinkel’s Schreckenstagen«.

Die Darstellung der Amtspersonen und der Offiziere mit Zopf und in altertümlichen Kostümen, die in komischen Situationen ins Bild gesetzt wurden, war eine dezente Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Sie wurde verstanden und unterlief dennoch die Zensur. Daneben gibt es eine Vielzahl von Motiven, die mal plump mal feinsinnig zeigen, wohin es führt, wenn man eine Redensart wörtlich nimmt. Das Spiel mit der Mehrdeutigkeit in der deutschen Sprache ist auch heute noch amüsant; der Bildwitz funktioniert. Till Eulenspiegel und die Schildbürger lassen grüßen.

Der Katalog »Gediegener Spott. Bilder aus Krähwinkel« entstand zur gleichnamigen Ausstellung im Museum LA8 in Baden-Baden 2018.

Unbekannter Künstler: Der Denker=Club. Auch eine neue deutsche  Gesellschaft, 1819/1820
Johann Michael Voltz: Der Amtmann von Krähwinkel liegt in letzten Zügen, 1824
Anonym: Damen Toilette in Krähwinkel, um 1824–1827